Was wir wissen können – Teil II

Die Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Diogenes-Verlags wurde zweimal per E-Mail gefragt, warum in der Übersetzung von „What we can know“ von Ian McEwan  – wie in Teil I des Beitrags dargestellt – von Forschenden die Rede ist. Eine Antwort kam erst, nachdem der Leiter des Verlags kontaktiert worden war. Darin verwies sie darauf, dass das Wort im Duden zu finden sei. Zudem sei es durchaus gebräuchlich und dem üblichen Sprachwandel entsprechend. Nun kann man natürlich Agensnomen durch Partizipformen ersetzen. Allerdings verschiebt sich meistens die Bedeutung. Denn letztere deuten i.d.R. an, dass etwas im Moment oder im Verlauf geschieht. Zudem können sie, wie im Falle der „Forschenden“ oder der „Pflegenden“, eine Gruppe meinen, deren Mitglieder eine Tätigkeit ausüben, ohne dafür ausgebildet sein zu müssen. Der Duden ist längst keine geeignete Referenz mehr. Zuständig für die amtliche Fixierung ist seit 2004 der Rat für deutsche Rechtschreibung. Der Verlag, nunmehr in seinem Schatten stehend, veränderte sein Nachschlagewerk bis zur Unkenntlichkeit. Auf keinen Fall entstammt das Wort „Forschende“ dem „üblichen Sprachwandel“, wenn damit der natürliche Sprachwandel gemeint ist. Seine Verwendung ist ideologisch motiviert … Den professionellen Rezensenten sind die Tendenzen der Übersetzung offenbar verborgen geblieben, den normalen Lesern hingegen nicht. Bei Orell Füssli wurde unter der Überschrift „Forschende und Studierende“ von einem Kunden moniert: „Leider schwach übersetzt in manche Partizipformen (s. oben), die der Autor im Original gar nicht benutzen konnte.“ Der Versuch, eine ähnliche Rezension auf der Plattform einzustellen, schlug fehl – der Beitrag wurde zensiert, nachdem er zunächst freigeschaltet worden war, obwohl er nicht gegen die Richtlinien verstieß. Der Diogenes-Verlag hat die Büchse der Pandora geöffnet. Es ist wahrscheinlich, dass weitere Bücher so übersetzt werden, dass sie politische und ideologische Ziele erreichen. Der Leser erhält so nicht nur ein Werk, das dem Original nicht gerecht wird und den Text verfälscht – er wird auch bevormundet. Gendersprache wird in den deutschsprachigen Ländern von der Mehrheit abgelehnt. Sie ist, insbesondere wenn Sonderzeichen verwendet werden, inkorrekt, sexualisierend und diskriminierend. Sie ist zudem, wie gezeigt wurde, unpräzise. Es ist zu wünschen, dass der Verlag, immer noch eine Größe im Geschäft, zur gebotenen Vernunft und zum allgemeinen Sprachgebrauch zurückkehrt. Wenn er das nicht tun will, sollte er sich offen zu seiner Ausrichtung bekennen.

Abb.: Der Diogenes-Verlag hat seinen Sitz in Zürich

Was wir wissen können – Teil I

Der jüngste Roman von Ian McEwan trägt den Titel „What we can know“. Die englische Ausgabe ist bei Jonathan Cape in London erschienen, die deutsche Ausgabe mit dem Titel „Was wir wissen können“ bei Diogenes in Zürich. Bei der Übersetzung fallen Ungenauigkeiten und Abweichungen auf, die mit dem Einfluss bzw. dem Phänomen der Gendersprache zusammenhängen dürften. Auf S. 17 des Originals heißt es: „Scholars see, hear and know more of them, of their private thoughts, than we do of our closest friends.“ Das könnte man übersetzen mit „Wissenschaftler sehen, hören und wissen mehr über sie, über ihre privaten Gedanken, als wir über unsere engsten Freunde.“ Der Übersetzer macht daraus: „Die Forschenden sehen, hören und wissen mehr von ihnen, ihren privatesten Gedanken, als wir von unseren engsten Freunden.“ (S. 32) Nun sind alle Menschen Forschende, aber nur einige sind Forscher. Die Partizipform (es handelt sich um das Partizip Präsens), die nicht wenige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen erzürnt, bedeutet etwas anderes als das Agensnomen. Sie wird gerne in der Gendersprache verwendet, um das generische Maskulinum zu vermeiden, wenn dieses irrtümlich auf männliche Personen bezogen wird. Auf Seite 19 der englischen Ausgabe liest man: „For the post-2030 crowd, which is most of the department, there’s even more.“ Das könnte man so wiedergeben: „Für die Generation nach 2030, die den Großteil des Fachbereichs ausmacht, gibt es sogar noch mehr.“ Der Übersetzer dichtet: „Und für die vielen Forschenden der Zeit nach 2030, die den größten Teil des Fachbereichs ausmachen, gibt es sogar noch mehr.“ Es geht um eine Generation des Fachbereichs, sodass man durchaus von Forschern sprechen könnte. Von Forschenden allerdings nicht – das verschiebt die Bedeutung. Auf Seite 20 des Originals steht: „Mary Sheldrake was among the most successful novelists of her generation.“ Dies könnte man übersetzen mit: „Mary Sheldrake gehörte zu den erfolgreichsten Romanautoren ihrer Generation.“ Erstaunlicherweise lautet die Stelle im deutschsprachigen Buch auf Seite 37: „Mary Sheldrake war eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen ihrer Generation.“ Das macht sie unbedeutender, als sie ist – sie ist in ihrer Generation nicht nur unter den professionell schreibenden Frauen eine der erfolgreichsten, sondern unter allen, die professionell schreiben. [Hier geht es zu Teil II.]

Abb.: Diogenes auf einem Gemälde