In zunehmendem Maße ist in der deutschsprachigen Forschung eine Einschränkung der Ausdrucksfreiheit durch verpflichtende sprachpolitische Vorgaben in wissenschaftlichen Fachzeitschriften zu beobachten. Konkret betrifft dies den Zwang zur Verwendung sogenannter Gendersprache, also sprachlicher Formen, die z.T. von der amtlichen deutschen Rechtschreibung abweichen (z.B. Sonderzeichen im Wortinneren wie Genderstern, Doppelpunkt oder Binnen-I). Eine solche Vorgabe wird in der Schweiz von mehreren anerkannten Journals zur Voraussetzung für die Veröffentlichung gemacht, unabhängig von fachlichen oder methodischen Erfordernissen. Diese Entwicklung wirft aus Sicht vieler Forscher ernsthafte wissenschaftsethische und rechtliche Fragen auf: 1. Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit: Die freie Wahl sprachlicher Mittel ist ein konstitutiver Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens. Wenn Ausdrucksformen vorgeschrieben werden, die von Autoren nicht geteilt werden – insbesondere, wenn sie als inkorrekt, unpräzise, ideologisch aufgeladen oder methodisch ungeeignet empfunden werden –, stellt dies einen Eingriff in die wissenschaftliche Freiheit dar. 2. Struktureller Ausschluss durch Sprachpolitik: Die Dominanz von Journals mit Genderpflicht in bestimmten Disziplinen führt de facto zu einem Ausschluss nichtkonformer Positionen aus dem wissenschaftlichen Diskurs. Dies betrifft nicht nur einzelne Autoren, sondern untergräbt die fachliche Diversität und Meinungsfreiheit. 3. Verlust des Deutschen als Wissenschaftssprache: Autoren weichen zunehmend auf das Englische aus, um solchen Vorgaben zu entgehen. Damit wird die deutsche Sprache in der Wissenschaft zusätzlich geschwächt, was insbesondere in der Schweiz mit ihrer Mehrsprachigkeit problematisch ist. 4. Sprachenfreiheit, Wissenschaftsfreiheit und verfassungsnahe Prinzipien: Auch wenn die Sprachenfreiheit (Art. 18 BV) und die Wissenschaftsfreiheit (Art. 20 BV) in der Schweiz primär gegen staatliche Eingriffe schützen, so haben sie doch Leitfunktion für den gesamten wissenschaftlichen Raum – insbesondere dann, wenn Fachzeitschriften öffentlich (mit-)finanziert oder institutionell getragen werden. Die Akademien der Wissenschaften Schweiz erkennen in der Einschränkung der Ausdrucksfreiheit kein Problem. Entsprechend müsste man nicht nur die betroffenen Zeitschriften, sondern auch sie selbst reformieren.
Zahlreiche Fachzeitschriften verlangen in ihren Autorenrichtlinien eine sogenannte gender- oder geschlechtergerechte Sprache. Zum Teil schreiben sie sogar Gendersternchen oder Doppelpunkt im Wortinneren vor. Damit werden nicht nur die Regeln der deutschen Rechtschreibung, sondern auch Persönlichkeitsrecht und Wissenschaftsfreiheit verletzt. Beispiele sind Suchtmagazin aus der Schweiz, SUCHT aus Deutschland und IM+io, „das Fachmagazin des August-Wilhelm Scheer Instituts“, ebenfalls aus Deutschland, unter der Verantwortung des Herausgebers Prof. Dr. Dr. h.c. mult. August-Wilhelm Scheer. In den Autorenrichtlinien von IM+io heißt es: „Bitte gendern Sie mit dem Gender-Doppelpunkt. Anstelle von ‚Autor‘ bzw. ‚Autorin‘ also ‚Autor:in‘.“ Auf Nachfrage eines Autors hin wurden weitere Optionen eingeräumt, die Verwendung genderneutraler Begriffe oder ein erklärender Hinweis am Ende des Textes. Auf die Feststellung hin, dass generische Formen genderneutral seien, kam keine Antwort. Ein erklärender Hinweis wiederum, warum man keine Standardsprache verwendet, ist nicht nur unnötig, sondern unsinnig. Kein Mitglied einer Sprachgemeinschaft muss sich für den allgemeinen Sprachgebrauch rechtfertigen. Sich selbst beschreibt man übrigens mit generischen Ausdrücken: „Die Redaktion der IM+io besteht aus Wissenschaftlern, Fachredakteuren und Journalisten.“ (Website IM+io) Die genannte Fantasiesprache wird nicht nur von Hochschulen, Instituten, Verlagen und Herausgebern benutzt und gefördert, sondern auch von Internet- und IT-Konzernen wie X Corp. (X, vormals Twitter) und Microsoft (LinkedIn, Outlook).
Abb.: In der Chefetage eines IT-Konzerns (Bild: Ideogram)
Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bestimmt: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ Ähnlich lautet Artikel 20 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft: „Die Freiheit der wissenschaftlichen Lehre und Forschung ist gewährleistet.“ Artikel 17 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger schützt in Österreich die Freiheit der Wissenschaft („Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.“). Allerdings wird in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz die Wissenschaftsfreiheit – die Forschungs-, Lehr- und Lernfreiheit umfasst – immer mehr verletzt, durch Vorgaben von Hochschul- und Studiengangleitungen, durch Sprachleitfäden für Mitglieder der Hochschulen und durch Druck von Aktivisten. Im Nomos-Verlag ist der Band „Wissenschaftsfreiheit: Warum dieses Grundrecht zunehmend umkämpft ist“ erschienen. In der Verlagsinformation heißt es: „Im letzten Jahrzehnt hat sich, was die Wertschätzung und Definition von Wissenschaftsfreiheit betrifft, eine wachsende Kluft an Hochschulen aufgetan. Auf der einen Seite stehen diejenigen, für die Wissenschaftsfreiheit ein grundsätzlich schützenswertes individuelles Grundrecht ist. Ihnen gegenüber stehen diejenigen, die den Schutz von Forschung und Lehre unter einen weltanschaulichen Vorbehalt stellen. Insbesondere identitätspolitisch motivierte Hochschulangehörige greifen zu den Mitteln der moralischen Diskreditierung, sozialen Ausgrenzung und institutionellen Bestrafung, um ihre Weltsicht durchzusetzen. Dieser Band analysiert die Erscheinungsformen und Folgen dieser politisierten und moralisierten Wissenschaftsausrichtung.“ (Verlagsinformation Nomos) Die Beiträge stammen von Russell A. Berman, Christian von Coelln, Michael Esfeld, Marie-Luisa Frick, Barbara Holland-Cunz, Sandra Kostner, Stefan Luft, Arne Pautsch, Inken Prohl, Richard Traunmüller, Vojin Saša Vukadinović und Alexander Zinn. Das Buch kann über www.nomos-shop.de/isbn/978-3-8487-8429-5 bezogen werden.
Abb.: Auch in der Schweiz ist die Wissenschaftsfreiheit bedroht
Die Wissenschaftsfreiheit an Hochschulen der Schweiz, Österreichs und Deutschlands wird immer mehr eingeschränkt. Hochschulen lassen in erster Linie Drittmittelforschung gelten, Rektorate geben bei Mitarbeitern Grundlagenwerke in Auftrag, Studiengangleiter schreiben Professoren Lehrbücher vor, D&I-Abteilungen veröffentlichen oder veranlassen ohne sprachliche Kompetenz und ohne rechtliche Grundlage Sprachleitfäden, Dozenten geben Punkteabzug bei ihnen nicht genehmer Sprache. Aber auch das Umfeld ist betroffen: Herausgeber, Verlage und Medien verletzen Urheberrecht, Persönlichkeitsrecht und Wissenschaftsfreiheit, wenn sie die Texte ihrer Autoren gegen deren Willen verändern und gendern. Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit bietet im Wintersemester 2022/2023 die Ringvorlesung „Wissenschaftsfreiheit: Voraussetzungen – Einschränkungen – Verteidigung“ an, immer online, immer montags von 18.00 bis 19.30 Uhr. Den Auftakt bildet am 24. Oktober 2022 ein Vortrag von Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Universität Würzburg, zum Thema „Meinungsfreiheit und ihre strafrechtlichen Konsequenzen“. Der Jurist hat auch schon wertvolle Beiträge für das „Handbuch Maschinenethik“ geliefert. Am 21. November 2022 trägt die Journalistin und Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Dr. Beatrice Dernbach, Technische Hochschule Nürnberg, zum Thema „Sprache bestimmt die Freiheit“ vor. Gespannt darf man auch sein auf den Vortrag „Opfermythen und der Rassismus der geringen Erwartungen“ von Prof. Dr. Ebrahim Afsah, Universität Wien. Das ganze Programm kann hier heruntergeladen werden.
Abb.: Studenten und Studentinnen bei einer Abschlussfeier in Venedig
„Die Wissenschaftsfreiheit (oder akademische Freiheit) hat ihren Ursprung in der von Platon im Jahre 387 v.u.Z. gegründeten Schule in Athen (Platonische Akademie) und umfasst die Freiheit von Forschung und Lehre sowie des Lernens. Sie ist ein Grundrecht und in Deutschland, Österreich und der Schweiz in der Verfassung verankert. Forschung und Lehre sollen ohne Abhängigkeit von Staat und Kirche sowie Wirtschaft, aber auch ohne Bevormundung innerhalb der Wissenschaft vonstattengehen. Es ergeben sich bei Personen (Forschenden, Lehrenden und Studierenden) und Institutionen (wie Universitäten und Fachhochschulen) sowohl Rechte als auch Pflichten.“ Mit diesen Worten beginnt ein Beitrag von Oliver Bendel im Wirtschaftslexikon von Springer Gabler, veröffentlicht am 26. Juli 2019. Im Folgenden wird spezifiziert: „Forschungsfreiheit bedeutet, dass Forscher und Forscherinnen das Recht haben, inhaltlich und methodisch selbstbestimmt nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zu streben, akademische Institutionen die Pflicht, den geeigneten Rahmen dafür zu schaffen. Die Lehrfreiheit (eine Form der Redefreiheit) ist das Recht der Dozierenden, die Lehre inhaltlich und methodisch (didaktisch) eigenständig auszugestalten. Dazu gehört nicht zuletzt die Wahl der Lehrmittel.“ Der ganze Beitrag kann über wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/wissenschaftsfreiheit-121063 abgerufen werden.
Abb.: Auch die Lernfreiheit gehört zur Wissenschaftsfreiheit